Es hätte alles so schön werden können. Kurzentschlossen Urlaub gebucht, und schon eine Woche später ab in die Türkei. Selbst das Hotelzimmer hat uns auf Anhieb gefallen. Vor allem, weil es aus zwei getrennten Zimmern bestand und wir so nicht immer schon mit den Kindern zu Bett gehen mussten. Die ersten beiden Strandtage in Evrenseki waren wirklich schön. Der Strand war gar nicht überfüllt, und Strand und Meer waren einfach perfekt.
(Kleiner Einschub, der zwar nicht direkt zur Geschichte gehört, aber dennoch irgendwie dazu passt: Strandhandtücher sind in der Gegend im Hamam des jeweiligen Hotels abzuholen. Naturgemäß versucht man dort dann jedesmal, wenn man Handtücher wecheln will, einem irgendwelche Massagen oder ähnliches aufzuschwatzen. Bereits beim ersten Mal schwante mir das, aber als ich dann zum dritten Mal zum Wechseln kam und wieder mit impertinenter Verkäuferseele angequatscht wurde, bracht es auch mir heraus: “Und selbst wenn die Königin von Saba bei euch da drinnen ist, mich interessiert euer blöder Hammam nicht. Lasst mich herrgottnochmal endlich damit in Ruhe! Ich frage schon selbst, wenn ich rein will. Danke. Nein, danke!” – Zum Glück hatte ich nur den letzten Satz laut ausgesprochen.)
Doch am Abend des zweiten Badetages ging es los. Unser Kleiner (5) war der erste, den es erwischte. Mitten in der Nacht begann er zu brechen. Das ging bis in den Vormittag so weiter, und Durchfall gesellte sich hinzu. Als er sich gegen Abend allmählich besser zu fühlen begann, ging es beim Großen (9) los. Er toppte die Nacht, weil er sich gar nicht entscheiden konnte, ob es zuerst vorne oder hinten raus musste – oder gleichzeitig. Bei ihm klang das ganze aber nicht so schnell ab. Er war noch nicht aus dem Gröbsten raus, als es am Folgeabend auch meine Frau und mich erwischte und wir uns die ganze Nacht auf der einzigen Toilette abwechselten. (Ja, wir hatten zwei Klimaanlagen und zwei Fernseher, aber leider nur eine Toilette!) Es blieb uns auch am nächsten Tag noch so schlecht, dass wir gar einen Babysitter engagieren mussten, damit die Kinder versorgt waren.
Tags darauf waren meine Frau und der Kleine soweit fit, dass sie versuchen wollen, ans Meer zu gehen und in der Sonne Kraft zu tanken. Der Große traute sich nicht so weit vom Klo weg, und so blieb ich mit ihm den ganzen Tag auf dem Zimmer. Am Nachmittag riskierten wir ein Stündchen Hotelpool, und mehr ging dann auch nicht. Währenddessen bekam ich aber per Zufall ein Gespräch von den Liegennachbarn mit und hakte nach. Ich musste erfahren, dass das Meer stark verunreinigt sei, da durch einen Klärunfall 10 Tage lang das Abwasser ungefiltert direkt am Strand ins Meer gelaufen war. Sowohl in den RTL Nachrichten sei darüber berichtet worden, als auch von “Urlaubsretter Ralf Benkö“. Ich war geschockt. Langsam setzte sich aus vielen Puzzle-Teilen ein Bild zusammen. Der Fluss, durch den das ganze Abwasser ins Meer gelangte, befand sich in unmittelbarer Nähe unseres Strandabschnitts. Meine Frau und der Große waren sogar am zweiten Strandtag noch durch die Mündung gewatet. Sie hatten sogar mit dem Gedanken gespielt, dort zu schnorcheln…
Zurück im Hotelzimmer rief ich sofort den Reiseleiter an, um zu reklamieren. Entgegen unserer sonstigen Gewohnheiten, waren wir tatsächlich zum Treffen mit ihm am ersten Tag gegangen, an dem es angeblich ja immer um die Rückreise geht, in Wahrheit aber nur Zusatzleistungen und Ausflüge verkauft werden sollen. Der Punkt ist: Unser Reiseleiter Mehmet E. hat uns nicht über die Meerverunreinigung informiert. Nicht mit einem Wort. Während wir nach und nach von anderen Urlaubern weitere Infos erhielten, z.B. jene, dass manche Reiseveranstalter ihre Gäste schon am Flughafen unterschreiben ließen, dass sie über den Sachverhalt informiert wurden. Unser Reiseleiter stellte ich selbst im aktuellen Telefonat zunächst noch unwissend und meinte dann, um uns informieren zu können, hätten wir ihn ja überhaupt erstmal treffen müssen. Als ich ihm sagte, dass wir uns getroffen hatten, wurde er sofort kleinlaut und verwies auf die Notfallnummer des Veranstalters.
Wären wir informiert gewesen, hätten wir das Meer natürlich gemieden. Das gebieten Ekel und Vernunft. Wir wären dann zwar dem wesentlichen Zweck unserer Reise beraubt worden – das Baden im Meer – hätten aber immerhin ein paar gesunde Tage am Pool verbringen können. So hatten wir am Ende gar nichts außer Not und Elend. Doch weiter im Text.
Natürlich rief ich direkt die Nummer an und landete beim örtlichen Kundenservice. Die freundliche Dame zeigte sofort Verständnis und ich verlangte, umgehend das Hotel zu wechseln, natürlich in eine andere Region. Sie versprach, sich darum zu kümmern und sich am nächsten Tag zu melden. Doch unser Zustand verschlechterte sich am nächsten Tag erneut, und wir ließen den Arzt rufen. Der traf dann auch kurze Zeit später ein und entschied nach kurzer Untersuchtung, uns alle vier ins Krankenhaus einzuweisen, wo wir dann auch mit Rettungswagen und PKW eingeliefert wurden. Dort hatten wir dann unseren Familienmoment des sogenannten Urlaubs, als wir alle vier nebeneinander aufgereiht in den Krankenhausbetten liegend unsere Infusionen erhielten, nachdem wir Blut- und Stuhlproben zum besten gegeben hatten. (Von der Hygiene dort erzähle ich jetzt mal lieber nichts; das ganze Thema ist so schon unappetitlich genug.)
Gegen Abend hielten uns “Facharzt” und Kinderärztin wieder für stabil genug, um uns entlassen zu können. Wir sollten nur noch schnell an der Kasse bezahlen und würden dann ims Krankenhaus gefahren. Und so landeten wir kurze Zeit später (und knapp 3.000 Euro ärmer) wieder im Hotel, wo wir auf vollständige Genesung zu warten gedachten. Allein, sie kam nicht.
Immerhin konnten wir am nächsten Tag nach viel Hin und Her mit dem Veranstalter (der uns zunächst zwei Hotels in unmittelbarer Nachbarschaft als Alternative angeboten hatte) in eine neue Bleibe umziehen, ein paar Kilometer weiter westlich in Çolakli. Während es meinem Kleinen und mir einigermaßen und den Umständen entsprechend gut besser ging, hatten mein Großer und meine Frau noch deutlich mehr Probleme. Insbesondere der Große hatte auch wieder mit Brechen begonnen, und keines der Medikamente schien Wirkung zu zeigen. Auch war er nicht in der Lage ausreichend zu trinken, um den körpereigenen Wasserhaushalt auszugleichen. Gegend Abend unseres ersten Tages im neuen Hotel ging ich daher erneut mit ihm zum Hotelarzt. Der gab ihm eine Spritze gegen die Übelkeit und Paracetamol-Saft gegen Schmerzen und Fieber. Wir zahlten drei Euro für den Saft und gingen wieder. Doch es wurde nicht besser, es wurde schlimmer. Der Große lag irgendwann nur noch apathisch im Bett, einzig unterbrochen durch die regelmäßigen Toilettenbesuche. Wir konnten das nicht länger mit ansehen und riefen hilflos und verzweifelt erneut den Rettungswagen, der ihn und mich zurück in die Klinik brachte. Erneut brachten die Laborwerte das gleiche Ergebnis: keine Viren gefunden, dafür aber jede Menge Keime und Bakterien, die für das ganze Elend verantwortlich waren. Ein klarer Beleg für die Herkunft des Übels aus dem Meerwasser.
Zwei Tage später durften wir das Krankenhaus wieder verlassen. Diesmal war die Reisekrankenversicherung direkt eingesprungen, so dass wir vor Ort nichts weiter zahlen mussten. Es war mittlerweile der Vorabend unserer Abreise. Dem Großen ging es mittlerweile wieder so gut, dass wir auch schriftlich bekamen, dass er fliegen durfte. Keine Selbstverständlichkeit! Doch natürlich kam es, wie es kommen musste: Am nächsten Morgen – abends sollte unser Rückflug sein – gab es für Sohnemann kein Halten, und er fand sich mit hoher Wiederkehrfrequenz auf der Toilette wieder. Auch meine Frau war in dieser Hinsicht eine unsichere Bank, und wir mussten bangen. Glücklicherweise trat über den Tag soweit Besserung ein, dass wir uns reisebereit glaubten und den Weg zum Flughafen antraten. Dort nahmen wir den Rollstuhlservice der Condor für den arg geschwächten Großen in Anspruch, was wirklich toll klappte. (Ein kleines positives Highlight in all dem Mist.) Gottseidank hielt der Große auch während des Fluges dicht, und wir waren noch nie so froh, wieder deutschen Boden unter den Füßen zu haben wie diesmal.
Auch in Frankfurt funktionierte der Rollstuhlservice wieder toll, und ein Mitarbeiter des Flughafens holte uns direkt am Flieger ab. Was sollte jetzt noch passieren?! Ich kann’s Euch sagen: Wir waren noch keine hundert Meter weit gekommen, als ich plötzlich unter der lächerlichen Last von drei kleinen Rucksäcken zusammenbrach. Mir war es in der Rücken gefahren, und zwar heftig. Ich hätte nicht einmal mehr meine Brieftasche heben können. Ich riss mich so gut es ging zusammen, warf eine starke Diclofenac-Tablette ein und musste hilflos neben unserem Tross her tappern. Gottseidank war der Flughafenmitarbeiter so nett, uns am Gepäckband zu helfen und die Koffer Richtung Taxi zu schieben, während meine Frau den Rollstuhl übernahm. Der Taxifahrer wiederum half uns nach dem Transport und lud die Koffer in unser Auto, so dass wir den letzten Teil unserer Reise doch noch antreten konnten, nachdem das Diclofenac anfing, seine Wirkung zu entfalten. Völlig am Ende trafen wir in der Nacht vom 2. auf den 3. September gegen 2 Uhr zu Hause ein. Fertig, leidend – aber glücklich. Wir waren wieder zuhause! Nach effektiv zwei Strandtagen von insgesamt 12 Tagen “Urlaub”.
Noch am Mittwoch gingen wir alle zusammen zum Kinderarzt unseres Vertrauens. Ich nehme den Laborwert vorweg: Nun hatte man auch noch den Rotavirus bei uns gefunden. Gut möglich, dass wir uns den noch im Krankenhaus eingefangen haben.
Tja, das ist dann erstmal das traurige Ende der Geschichte. Obwohl. Bis das alles mit Krankenversicherung und Reiseveranstalter final geklärt ist, werden wir – wohl vor allem mit letzterem – noch viel Spaß haben. Ich werde an dieser Stelle über den Ausgang berichten.